1933
hat »der Nationalsozialismus in der Demokratie mit der Demokratie die Demokratie besiegt.« So Hitler im Originalton.
Heute im Jahr 2024 ist die Demokratie in Deutschland und vielen anderen Staaten der Welt wieder bedroht und von populistischen Ideologien durchsetzt oder hat sich bereits hin zu illiberalen, autokratisch-populistischen und faschistischen Staatsformen entwickelt.
Es ist Zeit die Demokratie neu mit Leben zu füllen.
Lesen sie dazu mein Buch: DEMOKRATIE
LEBEN!
und meinen aktuellen Essay in der Rubrik 'Essays und Meinung':
Identität und Differenz
Ein Plädoyer für eine offene Gesellschaft
und
Eine kleine
Philosophie der Lüge.
Die Lüge im öffentlichen Raum und ihre Folgen.
Das Buch öffnet die Augen für das, was wichtig ist im Leben.
"Wenn wir Neues schaffen wollen, müssen wir uns von dem bloß passiv-betrachtenden Denken, dem Zukunft fremd ist, lösen. Wir müssen
den Willen zum Verändern der Welt,in der wir leben aufbringen und den Mut haben, unser Wissen und Denken auf die noch ungewordene Zukunft ausrichten."
(aus: GUTES LEBEN, S. 330)
Spannender histori-scher, biografischer Roman über Olympe de Gouges: Warum nicht die Wahrheit sagen.
»Ich bin eine Frau. Ich fürchte den Tod und eure Marter. Aber ich habe kein Schuld-bekenntnis zu machen. Ist nicht die Meinungs-freiheit dem Menschen als wertvollstes Erbe geweiht?«
So verteidigte sich Olympe de Gouges vor dem Revolutionstribunal in Paris. Eine kompromisslose Humanistin, eine sinnliche, lebenslustigeund mutige
Frau, die der Wahrheit unter Lebensgefahr zum Recht verhelfen will und als erste Frau in der Geschich-te auch für das weibliche Geschlecht die Bürger-rechte einfordert. Die Zeit vor und während der Französischen Revolution gewinnt in dieser historisch-authentischen Gestalt Lebendigkeit und atmosphärische Dichte.
Unteres Bild:
Ehrung von Olympe de Gouges bei der Eröffnungsfeier der olympischen Spiele in Paris 2024.
Piano Grande
Ein Roman über die Liebe in Zeiten der Krise.
Der Roman Piano Grande
zeichnet ein eindringliches Porträt des ersten Jahr-zehnt dieses Jahrhunderts, in dem die Finanz- und Wirtschaftskrise die Welt an den Rand des Abgrunds brachte.
Der Roman wirft auf dem Hintergrund einer großen Liebesgeschichte "einen sezierenden Blick auf die Gesellschaft und ihre Eliten..., die die Welt im Jahr 2008 in eine wirtschaftliche Kata-strophe geführt haben ..." (Wetterauer Zeitung)
Als vertiefende Ergänzung zu dieser Wirtschafts- und Finanzkrise empfehle ich Ihnen meinen Essay: Demokratischer Marktsozialismus. Ansätze zu einer bedürnisorientierten sozialen Ökonomie.
(Käthe Kollwitz)
Was ist das für ein demo-kratisches System, das unfähig ist, den Mord-versuch vom 6. Januar 2021 an ihrer Demokratie zu ahnden?
Unter Nice-to-now habe ich für Sie Ausschnitte aus der Rede von Trump zur Wahl und den Sturm auf das Kapitol zusammen-gestellt.
Besuchen Sie auch meine Autorenseite Henning Schramm auf Facebook. Ich würde mich freuen, wenn sie Ihnen gefällt.
Ich möchte mich auch über das rege Interesse an meiner Homepage mit über 450.000
Besucherinnen und Besuchern bedanken.
von
Henning Schramm
Der absolut Freie lebt außerhalb der Gemeinschaft, der Sittlichkeit und der Moral in der Wüste seiner Einsamkeit.
Ohne Einsicht in die Notwendigkeit ist Freiheit nicht möglich. Die Kenntnis (Einsicht) in die real gegebenen Bedingungen (Notwendigkeit), so argumentiert Friedrich Engels (1820-1895), ermöglicht erst einen freien Willen, der darin besteht, sich für oder gegen das Notwendige zu entscheiden, das Notwendige zu tun oder zu lassen. Eine Willensentscheidung ohne Einsicht in die Notwendigkeit kann demnach nicht frei sein. Sie ist Selbsttäuschung oder ein manipulierter Willensakt.
Engels folgt darin Hegel, der Freiheit beschrieben hat als eine Phase ohne Zwang (was dem früher beschriebenen Begriff der negativen Freiheit entspricht), aber unter Einsicht in die Notwendigkeit (positive Freiheit).
Die von Hegel geforderte Einsicht in die Notwendigkeit hat eine innere und eine äußere Perspektive.
Die innere Perspektive besagt, dass Freiheit nicht bedeutet, als Person indeterminiert zu sein, sondern sich über die Art der Determiniertheit bewusst zu werden. Je mehr ein Mensch versteht, wie er
selbst denkt und handelt und letztlich funktioniert, umso eher kann er sich von den ungewünschten Arten der Determiniertheit befreien und die gewünschten dann aufgrund einer freien Entscheidung
bestehen lassen.
Die äußere Determiniertheit bezieht sich auf die gegebenen Notwendigkeiten. Die Freiheit entfaltet sich von vornherein nur innerhalb dieser Gegebenheiten, in die der Mensch hineingeboren worden ist.
Die von Hegel geforderte Einsicht in die Notwendigkeit bedeutet allerdings nicht die Unterordnung unter eine fremd definierte, insbesondere obrigkeitsstaatliche Notwendigkeit, die man nur einzusehen
brauche, sondern vernünftige Urteile über die die Freiheit einschränkenden Notwendigkeiten zu fällen.
In dieser äußeren Perspektive ähnelt der Ansatz der Existenzialisten demjenigen Hegels. Das besondere an der menschlichen Freiheit, wie sie Jean-Paul Sartre (1905-1980) und Albert Camus (1913-1960) unabhängig voneinander formuliert haben, besteht darin, dass der Mensch die Wahl hat, sich gedanklich in die Umstände zu fügen oder über diese im Rahmen der stets begrenzten menschlichen Möglichkeiten, seien sie natürlich, gesellschaftlich oder durch Naturgesetze bedingt, hinwegzuschreiten. Da sich niemand, auch der Gefangene im Kerker nicht, in letzter Konsequenz mit den gegebenen Umständen abfinden muss, bleibt der zur Freiheit verdammte Mensch frei. Den als gegeben angesehenen hindernden Umständen wird von diesen Autoren keine freiheitsbegrenzende Qualität zugesprochen. Freiheit bedeutet dann aber notwendigerweise, an diesen Umständen, mit denen sich der Mensch nicht abzufinden bereit ist, zu leiden. Scheitern begrenzt die Freiheit nicht, sondern ist Teil der menschlichen Existenz und gehört somit zu seiner Freiheit.
Die innere Perspektive, die alle Gefühle und Wünsche, das Wollen, Urteile und Entscheidungen umfasst, bezieht sich also auf die Autonomie der Selbstsetzung und Selbstwerdung des Menschen, auf die Person als ein freies, vernünftiges, selbstbewusstes, würdiges Wesen, das für seine Taten selbst verantwortlich ist und Macht über sich selbst hat.
Eine Frage, die die Philosophen, aber auch die Sozialwissenschaft, Rechtswissenschaft und Neurowissenschaft seit jeher beschäftigt, ist: Inwieweit ist das Wollen, der menschliche Wille bedingt oder unbedingt? In welchem Umfang hat der Mensch ein liberum arbitrium: einen freien Willen?
Stellen wir uns für einen Moment einen unbedingt freien Willen vor: Er müsste sich losgelöst von Körper, Charakter, Gedanken, Emotionen und Empfindungen, Fantasien und Erinnerungen und in einem Raum ohne Menschen, die mich beeinflussen können, entwickeln. Könnte ich solch einen Willen als meinen Willen identifizieren? Jeder vernünftige Mensch müsste zu dem Schluss kommen, dass dies nicht mein eigener Wille wäre. Es wäre ein Wille ohne meine Beteiligung, ein Wille, mit dem ich nichts zu tun habe, in dem ich mich nicht wiederzuerkennen vermag. Und er wäre unberechenbar. Bedingungslose Willensfreiheit würde einen Willen als unbewegten, gottähnlichen Beweger (in Anlehnung an Aristoteles‘ göttlichen Ursprung der Welt) voraussetzen, der aus dem nichts entspringt. Solch ein Wille als erster Grund ist unter Berücksichtigung psychologischer, gesellschaftlicher als auch physiologisch-körperlicher Aspekte nicht denkbar. Der eigene Wille ist immer zum Teil auch bedingt. Wenn dem so ist, stellt sich die Frage, wie groß der Anteil der Bedingtheit an meiner Willensäußerung ist und wie ich mit der Bedingtheit umgehe.
Um einen Willen als meinen eigenen anzuerkennen, ist Voraussetzung, dass ein auftauchender Wunsch sich in ein überdauerndes, zeitlich fassbares Wollen transformiert. Durch abwägendes Denken (Warum will ich das? Was bedeutet das für mich? Welche Folgen hat das Wollen für mich und für andere?) und daraus abgeleiteten Urteilen und Entscheidungen mündet der Wille schließlich in ein Handeln.
Die Freiheitsgrade des Willens sind durch die Person und deren Körperlichkeit, Biografie, Herkunft, Umgebung und Geschichte, durch den Raum, den wir der Fantasie geben, durch Selbsterkenntnis und
-bewusstsein, die Bildung und Aufgeklärtheit einer Person sowie in spezifischer Weise durch unser Denken und Urteilen abgesteckt und bedingt: »Ich könnte auch etwas anderes wollen, wenn ich anders
urteilte.«[i]
Die Abfolge innerer Beweggründe vom Wunsch (der einem vagen Gefühl oder einer starken Gefühlsregung entspringen kann) bis zum Urteil und zur Entscheidung (die beide der Kausalität unterworfen sind)
und schließlich zum Handeln (begrenzt durch Moral und Notwendigkeit) ist Bedingungen unterworfen, die der Handelnde in Betracht ziehen muss.[ii] Zu
diesen Bedingtheiten des Urteils gehört auch, wie das Kant formuliert hat: »Niemand kann mich zwingen auf seine Art (wie er sich das Wohlsein anderer Menschen denkt) glücklich zu sein, sondern ein
jeder darf seine Glückseligkeit auf dem Wege suchen, welcher ihm selbst gut dünkt, wenn er nur der Freiheit Anderer, einem ähnlichen Zwecke nachzustreben, die mit der Freiheit von jedermann nach
einem möglichen allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, (d.i. diesem Rechte des Andern) nicht Abbruch thut.«[iii]
Willensfreiheit ist an die Aneignung eines Willens gebunden, die nur im Rahmen des Personseins stattfinden kann, so eine zentrale These von Peter Bieri.[iv] Ein Wille ist frei, wenn er zu meinem Selbstbild passt, wenn er etwas ausdrückt, mit dem ich mich identifizieren, den ich mir selbst zuordnen und zurechnen kann.
Niemand ist frei, der nicht über sich selbst verfügen kann. Jedoch ist das nur eine notwendige Bedingung der Willensfreiheit, denn auch, wenn ich Herr meiner Selbst bin, bin ich nicht, wie bereits
gesagt, frei von Beeinflussung durch andere. Ein Wille entwickelt sich nicht in der inneren Abgeschlossenheit meines Gehirns, meines Bewusstseins. Zu meiner Freiheit gehört, dass ich mit anderen im
Austausch bin (Konstituierung des Selbst-Bewusst-seins), dass ich Erfahrungen mit anderen Personen teile und so auch von diesen beeinflusst werde und dadurch auch meine Willensbildung.
Eine wichtige Frage ist auf diesem Hintergrund: Worin liegt der Unterschied zwischen einem eigenen, aus meinem Selbst entspringenden Willen und einem bloß übernommenen oder von anderen manipulierten oder gar aufgezwungenen Willen?
Ich kann der Beeinflussung durch andere zwar nicht vollständig entgehen (ich erinnere an Watzlawicks These: Ich kann nicht nicht kommunizieren), aber ich kann mich fragen, ob und wieweit der Einfluss anderer meiner eigenen Willensbildung förderlich ist, oder ihr entgegensteht. Ein Einfluss, der meinem Wunsch, meinen Überlegungen und Urteilen entgegensteht, wird als fremd, als meinem eigenen Willen nicht zugehörig erlebt. Willensschwäche würde dann zum Beispiel bedeuten, es nicht zu schaffen, dem Wunsch zum Durchbruch zu verhelfen und den Willen zu entwickeln, den ich aus meinem Denken und Urteilen heraus haben möchte.
Die Freiheit des Willens unterscheidet sich von Unfreiheit, wie wir gesehen haben, nicht dadurch, dass das eine unbedingt und das andere bedingt ist, sondern dadurch, welcher Art die Bedingungen sind (bei einer Gehirnwäsche zum Beispiel wäre ich der Lakai eines fremden Gedankens). Entscheidend ist deswegen nicht die Bedingungslosigkeit, sondern unter welchen Bedingungen eine Person sich einen Willen aneignet und zu einer Entscheidung und schließlich zum Handeln kommt, in dem sie sich erkennt und mit dem sie sich identifizieren kann. Eine als richtig empfundene Entscheidung basiert auf eigenen abwägenden Urteilen und geschieht in kritischer Distanz zu dem eigenen Wollen und zu sich selbst (die Unfreiheit einer Entscheidung würde in diesem Sinne dann bedeuten, dass der Wille auf ‚falsche Weise‘ bedingt ist).
Die verlässliche Freiheit der Entscheidung ist darin begründet, dass sich mein Wille meinem Urteil fügt, und ich etwas wollen kann, was ich für richtig halte. Das Für-richtig-Halten, kann in einer großen Leidenschaft im Sinne eines lebensbestimmenden Willens, der befreiende, identitätsbildende Kontinuität besitzt, begründet sein. Aber natürlich ist das Leben im Allgemeinen bei den meisten Menschen nicht von nur einer lebensleitenden Leidenschaft bestimmt, sondern von vielen abwägenden Urteilen und suchendem Wollen. »Wir möchten uns das Gesetz unseres Willens selbst geben können«, so Peter Bieri in ‚Das Handwerk der Freiheit‘, aber das soll nicht bedeuten, dass »wir als Burgbewohner in einer inneren Festung leben, in einer Zitadelle, die es insgesamt gegen äußere Einflüsse zu verteidigen gilt … Das Gesetz des eigenen Willens gilt nie für immer, denn es ist das Gesetz eines fließenden Selbst … Ein Selbst, wie es sich aus dem inneren Abstand zu uns selbst entwickelt, ist ein vorübergehendes Gebilde auf schwankendem Grund, und es gehört zu den Voraussetzungen für Willensfreiheit, diese einfache und offensichtliche Tatsache anzuerkennen. Genauso wie die Tatsache, daß es Zeiten gibt, in denen wir weder autonom sind noch das Gegenteil. Diese Erfahrung zu leugnen hieße, die wichtige Idee der Autonomie zu einer Chimäre zu machen.« [v]
Menschliches Sein zeigt sich nicht nur in seinem Willen, sondern äußert sich wesentlich im Handeln, in der Tat, die der Entscheidung folgt. Indem ich handle, wird die Distanz, die zwischen dem Willen und der Tat besteht, aufgehoben. Der Wille wird in die Welt entlassen und kann dort wirksam werden. Wenn die Distanz bestehen bliebe und keine Entscheidung getroffen würde, bliebe alles in der Schwebe. Die Person würde sich die Freiheit der Entscheidung und des Handelns nehmen und käme nicht dazu, ihre Wünsche handlungswirksam werden zu lassen. Sie bliebe im Zustand eines Beobachters ihrer selbst, die unbeweglich in einer inneren Starre verharrt und sich nicht als Subjekt und Akteur des eigenen Willens erfahren könnte.
Die Freiheit des Menschen besteht deswegen gerade auch darin, dass er die Entscheidung sucht, sich der Entscheidung stellt, und den Spielraum, den ihm die bedingte Entscheidungsfreiheit (eine Wahl zu haben, dies oder jenes zu tun) bietet, nutzt. So wahr es ist, dass die Freiheit des Individuums erst dort beginnt, wie John Locke sagt, wo es keine bindende Entscheidung gibt, so wahr ist es auch, wie ich zu zeigen versucht habe, dass es unbedingte Willens-, Entscheidungs- und Handlungsfreiheit nicht gibt. Der Begriff der Bedingtheit ist dem der Freiheit vorgeordnet. Da das Ich jedoch Urheber des Willens und der Entscheidungen ist, bleibt die Freiheit des Handelns trotz der Bedingtheit bestehen (egal, wie im Gehirn die neuronalen Prozesse zwischen Entscheidung und Handlung ablaufen[vi].
Ein Handeln wird als selbstbestimmt und sinnhaft empfunden, wenn ich mich als dessen Urheber empfinde und es mit meinem Selbst im Einklang ist. Eine Reduktion der Möglichkeiten des Handelns durch Denken und Urteilen hat weniger mit Freiheit oder Unfreiheit des Willens zu tun als mit Wissen, Mut, Charakter und Verantwortung. Mit Ausprägungen der Persönlichkeit also, die jemanden befähigen, das zu tun, was das Denken und die Vernunft nahelegen zu tun.
Das Handeln ist nicht nur vom inneren Sein bedingt, sondern, wie jeder am eigenen Leib erlebt, auch von äußeren Bedingungen. Der Handelnde ist verantwortlich für sein Handeln, das einmal in die Welt entlassen und dort wirksam geworden von Regeln der Gemeinschaft begrenzt wird. Regeln und Gesetze, die der Handelnde aufgefordert ist, einzuhalten. Jemanden verantwortlich machen, heißt, ihm die Erwartung entgegenbringen, sich an die Regeln (Gesetze) zu halten. Jemand, der mich verantwortlich macht, muss dafür legitimiert sein, diese Gesetze durchzusetzen (Judikative) und die Gesetze müssen legitimiert sein, etwa durch demokratische Wahlen von Abgeordneten (Legislative), die diese Gesetze erlassen.
Das wirft unmittelbar die Frage nach der Legitimation und Moralität von Gesetzen auf, die Freiheit begrenzen und sie gleichzeitig ermöglichen. So lässt etwa Schiller Wilhelm Tell sagen: »Jetzt seid ihr frei, ihr seid’s durch dies Gesetz«.
Im kommunikativen Handeln müssen Regeln des Zusammenlebens, die Ethik und Moral einer Gesellschaft immer wieder neu diskursiv ausgehandelt werden. Der öffentliche Raum ist der Ort, wo sich die kommunikative Vernunft der Individuen begegnet, um gemeinsame kooperative Aktivitäten, gemeinsame Ziele und gemeinsame Absichten zu verhandeln[vii], die sich unter anderem in Gesetzen niederschlagen. Das bedeutet, Gesetze, das Recht, wie auch das, was als gerecht empfunden wird, sind ständigem Wandel unterworfen. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an Goethe, der im Faust diese Veränderungsnotwendigkeit von Gesetzen aufgrund gesellschaftlichen Wandels folgendermaßen ausgedrückt hat:
Es erben sich Gesetz und Rechte
Wie eine ewge Krankheit fort,
Sie schleppen vom Geschlecht sich zum Geschlechte
Und rücken sacht von Ort zu Ort.
Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage.
[i] Peter Bieri, Das Handwerk der Freiheit. Über die Entdeckung des eigenen Willens. Frankfurt 2009, S. 80
[ii] Vgl. dazu etwa Kants kategorischen Imperativ oder auch den britischen Philosophen und Nationalökonom John Stuart Mill (1806-1873), der in seiner bekanntesten Schrift „On Liberty“ das sogenannte Mill - Limit formulierte: Der einzige Grund, aus dem die Menschheit, einzeln oder vereint, sich in die Handlungsfreiheit eines ihrer Mitglieder einzumischen befugt ist, ist, sich selbst zu schützen. Der einzige Zweck, um dessentwillen man Zwang gegen den Willen eines Mitglieds einer zivilisierten Gesellschaft rechtmäßig ausüben darf, ist die Schädigung anderer zu verhüten. Das Mill-Limit gilt noch heute besonders im angelsächsischen Sprachraum als Grundsatz des Liberalismus.
[iii]Immanuel Kant, Gesammelte Schriften. Hrsg.: Bd. 1-22 Preussische Akademie der Wissenschaften, Bd. 23 Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, ab Bd. 24 Akademie der issenschaften zu Göttingen, Berlin
[iv] Peter Bieri, a.a.O. S. 384
[v] Peter Bieri, a.a.O. S. 42
[vi] Ich beziehe mich hier auf einige Neurowissenschaftler und Hirnforscher, die dem Menschen
Willensfreiheit absprechen. Hier sei stellvertretend Benjamin Libet, ein US-amerikanischer Physiologe genannt. Anfang der 1980er Jahre führte er Versuche zur Messung der zeitlichen Abfolge
bewusster Handlungsentscheidungen und ihrer motorischen Umsetzung durch, die als „Libet-Experiment“ bekannt geworden sind. Im sogenannten Libet-Experiment wurde gezeigt, dass das motorische Zentrum
des Gehirns mit der Vorbereitung einer Bewegung bereits begonnen hat, bevor man sich dessen bewusst wird, dass man sich für die sofortige Ausführung dieser Bewegung entschieden hat. Der zeitliche
Abstand beträgt etwa 0,35 s, die wirkliche Bewegung erfolgt dann noch etwa 0,2 s später.
[vii] Vgl. dazu auch den Ansatz der ‚deliberativen Demokratie‘ von Jürgen Habermas: Ein neuer
Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik, Suhrkamp 2022.