1933
hat »der Nationalsozialismus in der Demokratie mit der Demokratie die Demokratie besiegt.« So Hitler im Originalton.
Heute im Jahr 2024 ist die Demokratie in Deutschland und vielen anderen Staaten der Welt wieder bedroht und von populistischen Ideologien durchsetzt oder hat sich bereits hin zu illiberalen, autokratisch-populistischen und faschistischen Staatsformen entwickelt.
Es ist Zeit die Demokratie neu mit Leben zu füllen.
Lesen sie dazu mein Buch: DEMOKRATIE
LEBEN!
und meinen aktuellen Essay in der Rubrik 'Essays und Meinung':
Identität und Differenz
Ein Plädoyer für eine offene Gesellschaft
und
Eine kleine
Philosophie der Lüge.
Die Lüge im öffentlichen Raum und ihre Folgen.
Das Buch öffnet die Augen für das, was wichtig ist im Leben.
"Wenn wir Neues schaffen wollen, müssen wir uns von dem bloß passiv-betrachtenden Denken, dem Zukunft fremd ist, lösen. Wir müssen
den Willen zum Verändern der Welt,in der wir leben aufbringen und den Mut haben, unser Wissen und Denken auf die noch ungewordene Zukunft ausrichten."
(aus: GUTES LEBEN, S. 330)
Spannender histori-scher, biografischer Roman über Olympe de Gouges: Warum nicht die Wahrheit sagen.
»Ich bin eine Frau. Ich fürchte den Tod und eure Marter. Aber ich habe kein Schuld-bekenntnis zu machen. Ist nicht die Meinungs-freiheit dem Menschen als wertvollstes Erbe geweiht?«
So verteidigte sich Olympe de Gouges vor dem Revolutionstribunal in Paris. Eine kompromisslose Humanistin, eine sinnliche, lebenslustigeund mutige
Frau, die der Wahrheit unter Lebensgefahr zum Recht verhelfen will und als erste Frau in der Geschich-te auch für das weibliche Geschlecht die Bürger-rechte einfordert. Die Zeit vor und während der Französischen Revolution gewinnt in dieser historisch-authentischen Gestalt Lebendigkeit und atmosphärische Dichte.
Unteres Bild:
Ehrung von Olympe de Gouges bei der Eröffnungsfeier der olympischen Spiele in Paris 2024.
Piano Grande
Ein Roman über die Liebe in Zeiten der Krise.
Der Roman Piano Grande
zeichnet ein eindringliches Porträt des ersten Jahr-zehnt dieses Jahrhunderts, in dem die Finanz- und Wirtschaftskrise die Welt an den Rand des Abgrunds brachte.
Der Roman wirft auf dem Hintergrund einer großen Liebesgeschichte "einen sezierenden Blick auf die Gesellschaft und ihre Eliten..., die die Welt im Jahr 2008 in eine wirtschaftliche Kata-strophe geführt haben ..." (Wetterauer Zeitung)
Als vertiefende Ergänzung zu dieser Wirtschafts- und Finanzkrise empfehle ich Ihnen meinen Essay: Demokratischer Marktsozialismus. Ansätze zu einer bedürnisorientierten sozialen Ökonomie.
(Käthe Kollwitz)
Was ist das für ein demo-kratisches System, das unfähig ist, den Mord-versuch vom 6. Januar 2021 an ihrer Demokratie zu ahnden?
Unter Nice-to-now habe ich für Sie Ausschnitte aus der Rede von Trump zur Wahl und den Sturm auf das Kapitol zusammen-gestellt.
Besuchen Sie auch meine Autorenseite Henning Schramm auf Facebook. Ich würde mich freuen, wenn sie Ihnen gefällt.
Ich möchte mich auch über das rege Interesse an meiner Homepage mit über 450.000
Besucherinnen und Besuchern bedanken.
Der unterschätzte rechte Terror
in Deutschland 1919-2020*
Beginnend im Januar 1919 gehörten besonders rechte Morde bis 1924 zum Alltag: der
Doppelmord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Januar 1919, an Kurt Eisner im Februar 1919, an Matthias Erzberger im August 1921.
Mit dem Mord an Erzberger aber trat erstmals eine nach Prinzip von Befehl und Gehorsam geführte rechtsterroristische Gruppe in Erscheinung, die Organisation Consul. Dann wurde
Walther Rathenau im Juni 1922 ermordet. Wenige Tage später, am 3. Juli 1922, wurde ein Attentat auf Maximilian Harden, ein deutscher sozialistische Publizist,
Kritiker, Schauspieler und Journalist verübt. Er überlebte schwer verletzt, zog sich aber total aus der Öffentlichkeit zurück. Erst daraufhin erließ Reichspräsident Friedrich Ebert scharfe Maßnahmen
gegen Rechtsterroristen.
Insgesamt fielen in den Anfangsjahren der Weimarer Republik rechtsterroristischen
Anschlägen im weiteren Sinne mindestens 23 Menschen zum Opfer. Tatsächlich waren es wohl noch wesentlich mehr. Je nach Definition kommt man auf bis zu 400 Tötungen mit
radikalnationalis-tischem oder antisemitischem Hintergrund in Deutschland.
Der Lüttwitz-Kapp-Putsch 1922 scheiterte bereits nach wenigen Tagen an einem nahezu einmütig befolgten Generalstreik. Den noch während des begonnenen revolutionären Märzaufstand im
Ruhrgebiet, in Sachsen und Thüringen schlugen Einheiten der Reichswehr zusammen mit Freikorps blutig nieder.
Am Morgen des 9. Novembers 1923 schlugen Einheiten der bayerischen Landespolizei den Hitler-Putsch in München nieder. Die von Hitler geführte NSDAP wurde reichsweit verboten.
Innenpolitisch weit weniger dramatisch und ohne gewaltsame Umsturzversuche verliefen die Jahre von 1924 bis 1929.
Die Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Befürwortern des Young-Plans wurden nicht nur verbal ausgeführt. Saal- und Straßenschlachten zwischen der nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA),
dem kommunistischen Roten Frontkämpferbund (RFB) und der Polizei gehörten ab Ende der 1920er Jahre zum alltäglichen Erscheinungsbild im Deutschen Reich. Der Terror in Nazideutschland ab 1933 ist
hinlänglich bekannt und wird nicht weiter erläutert.
Ich möchte mit den nachfolgenden kurzen Ausführungen auf die Vergangenheitspolitik der Adenauerära eingehen, die m.E. wegen der nicht durchgeführten Bewältigung des Dritten Reiches
als möglicher Nährboden für die Gegenwart und ihrer größer werdenden rechte Szene angesehen werden kann. Grundlagen sind: die beiden Straffreiheitsgesetze sowie den Art. 131 des Grundgesetzes.
1. Straffreiheitsgesetz vom 31. Dezember 1949 oder „Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit“. Das Gesetz war eines der beiden ersten Gesetze der ersten deutschen Bundesregierung
überhaupt und trat am 1. Januar 1950 in Kraft. Es amnestierte unter bestimmten Voraussetzungen alle vor dem 15. September 1949, dem Tag der Wahl Konrad Adenauers zum ersten deutschen Bundeskanzler,
begangenen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die mit Gefängnis bis zu sechs Monaten beziehungsweise bis zu einem Jahr auf Bewährung bestraft werden konnten.
2. Das Straffreiheitsgesetz 1954, offiziell „Gesetz über den Erlass von Strafen und Geldbußen und die Niederschlagung von Strafverfahren und Bußgeldverfahren“ vom 17. Juli 1954, war
ein Amnestiegesetz zur Bereinigung der durch „Kriegs- und
Nachkriegsereignisse geschaffenen außergewöhnlichen Verhältnisse“. Nach § 1 wurden bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die vor dem 1. Januar 1953 begangen worden waren, bereits verhängte Strafen
und Geldbußen erlassen sowie noch anhängige Verfahren niedergeschlagen. Historisch von Bedeutung ist das Gesetz, weil es gem. § 6 auch Tätern sog. Endphaseverbrechen zugutekam, die unter dem Einfluss
der außergewöhnlichen Verhältnisse des Zusammenbruchs in der Zeit zwischen dem 1. Oktober 1944 und dem 31. Juli 1945 in der Annahme einer Amts-, Dienst- oder Rechtspflicht, insbesondere eines Befehls
begangen
worden waren.
3. Der Art. 131 des Grundgesetzes aus Mai 1951: Spätestens seit 1948 war in Politik und Verwaltung der Entschluss herangereift, ein weiteres höchst unliebsames Element alliierter
Besatzungspolitik rückgängig zu machen, in dem Säuberungswille und Reformeifer eine aus deutscher (Beamten-) Sicht fatale Verbindung eingegangen waren: die politisch begründete Entlassung großer
Teile des bei Kriegsende vorgefundenen öffentlichen Dienstes, die nach den Vorstellungen von Briten und Amerikanern zugleich den Auftakt bilden sollte für eine tiefgreifende Umgestaltung des
überkommenen Berufsbeamtentums.
Sinn des Art. 131 GG war es, sich durch einheitlich geltendes Bundesrecht des großen Kreises der Beamten anzunehmen, die durch den Zusammenbruch ihrer Rechte verlustig gegangen oder die erst während
der nationalsozialistischen Zeit Beamte geworden waren und daher niemals in einem von rechtsstaatlichen Grundsätzen beherrschten Beamtenverhältnis gestanden hatten. Für den kritischen Zeitgenossen,
gar den ehemals Verfolgten, der 1945 die unwiderrufliche Ablösung der korrumpierten Eliten erwartet hatte und für eine grundlegende Demokratisierung von Staat und Gesellschaft eintrat, war es gewiss
deprimierend, die massenhafte Rückkehr der früheren Beamten beobachten zu müssen. Die Hitler den Staat gemacht hatten – kaum zehn Jahre später waren sie, soweit nicht in Pension, fast alle wieder in
Amt und Würden.
Übrigens: Er steht immer noch im GG.
Konrad Adenauer hatte sich zur Vergangenheitspolitik bereits 1952 wie folgt geäußert – und die Republik handelte danach: „Wir sollten jetzt mit der Naziricherei Schluss machen. Denn verlassen Sie
sich darauf: wenn wir damit anfangen, weiß man nicht, wo es aufhört.“ Dieses Zitat habe ich letztes Jahr in der Dauerausstellung „Topographie des Todes“ in Berlin gefunden.
Zum Abschluss der Adenauerära: Auch dies gehörte zur bundesrepublikanischen
Vergangenheitspolitik: über Jahrzehnte hinweg wurde bundesdeutsche Hilfe für im Ausland inhaftierte NS-Täter gewährt: Dazu gehörten ein Täter in einem römischen Militärgefängnis und vier weitere,
ebenfalls zu lebenslanger Haft verurteilte Täter in Breda in den Niederlanden. Für diese NS-Verbrecher wurden Vereine zur Unterstützung gegründet, die Bonner Politiker und Ministerien kontaktiert und
teilweise unter Druck setzten, um eine vorzeitige Freilassung zu erwirken. Für alle Bundeskanzler bis 1989, im Januar 1989 wurden die letzten beiden aus Breda vorzeitig entlassen, das Auswärtige Amt
sowie die jeweiligen Botschafter war es Pflicht, die vorzeitige Freilassung zu dringen. Obwohl dies zu Spannungen mit Italien und den Niederlanden führte, wurde die Politik unbeirrt
fortgeführt.
In der Forschung zum Rechtsterrorismus in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte ist umstritten, ob die rechts-terroristischen Handlungen Ende der 1960er Jahre mit dem Entstehen zahlreicher
Kleingruppen beginnt oder bereits in den frühen 1950er Jahren auszumachen ist.
Daneben kommt gegenwärtig ein weiteres Problem hinzu: In der Wissenschaft gibt es keine allgemein akzeptierte Definition von Terrorismus. Der Politikwissenschaftler Armin
Pfahl-Traughber versteht darunter ein „geplantes, nicht nur einmaliges gewaltsames Handeln von (halb-)geheim agierenden Individuen oder Gruppen mit dem Ziel (…), Angst und Einschüchterung
bei einer größeren Zahl von Menschen zu erzeugen und/oder Entscheidungen politischer Akteure oder sozialer Gruppen zu beeinflussen, ohne dabei etwa auf persönliche Bereicherung zu
zielen“.
Diese Uneinigkeit spiegelt sich auch auf europäischer Ebene wider: Die Polizeiagentur Europol weist in einem vertraulichen Papier darauf hin, dass allein die Zahl der Verhaftungen im Zusammenhang mit
rechtem Terror in Europa in den vergangenen drei Jahren kontinuierlich und signifikant gestiegen sei: von zwölf Festnahmen im Jahr 2016 auf 44 im Jahr 2018, heißt es
in einem vertraulichen Strategiepapier.
Rechtsextreme Gruppen zeigten ein anhaltendes Interesse am Besitz und Umgang mit Waffen und Sprengstoffen. "Um ihre körperlichen Möglichkeiten und Kampffähigkeiten an den Waffen
auszubauen", heißt es in dem Papier, "versuchen Mitglieder rechtsextremer Gruppen, erfahrenes Personal aus Militär und Sicherheitsbehörden für sich zu gewinnen, um von deren Expertise im
Bereich der Überwachung und Kampffertigkeiten zu lernen."
Eine wichtige Rolle spielten zudem Kampfsportevents, die von der rechtsextremen Szene besonders genutzt wurden. Das "signifikante Wachstum" rechter Stimmungen in Europa, heißt es in
dem Papier, "drückt sich auch in einer beachtlichen Anzahl gewalttätiger Zwischenfälle in zahlreichen EU-Mitgliedsländern aus, die durch rechtsextreme Ideologien motiviert sind".
Zu schaffen macht den europäischen Ermittlern die aus ihrer Sicht unzureichende Datenlage. Zahlreiche Taten würden derzeit nicht an Europol gemeldet, weil "die meisten rechtsextremen Gewalttaten
in der EU nicht als terroristische Straftaten oder terrorbezogene Zwischenfälle erkannt, sondern nach nationaler Rechtslage als extremistische Aktivitäten gewertet" würden.“
Im Ergebnis verfügt Europol derzeit nicht über eine umfassende Datengrundlage über alle rechtsextremen und rechtsterroristischen Zwischenfälle, die den EU-Mitgliedsstaaten bekannt
sind.
Auf nationaler Ebene hat das „Totalversagen des Staates“, diese Aussage ist das Ergebnis des NSU-Untersuchungsausschusses, eine der wichtigsten Ursachen: Die Ermittler hatten die Besonderheiten des Rechtsterrorismus ignoriert: Sie suchten flüchtig nach rassistischen Tätern und konzentrierten sich stattdessen auf mafiöse Verbindungen der Opfer. Sich nicht zu bekennen, war und ist unter Rechtsterroristen eine verbreitete Strategie und nach vielen Attentaten nachgewiesen. Die zweite Besonderheit des Rechtsterrorismus war und ist der „führerlose Widerstand“, der auch in der Szene propagiert wird. Bekennerbriefe sind ebenfalls unbekannt. Den Behörden ist diese Vorgehensweise bekannt, nur haben sie nicht die richtigen Schlussfolgerungen gezogen. Der Untersuchungs-ausschuss attestierte den Behörden die weithin bekannte Betriebsblindheit auf den rechten Auge. Die nachfolgenden Taten in Deutschland können wegen der Fülle teilweise nur angerissen werden:
Die obige Frage, ob der Rechtsterrorismus nun in den 50ziger oder 60ziger Jahren begonnen hat, wird dadurch beantwortet, dass
bereits am 23. Juni 1950 in Frankfurt am Main der antikommunistische „Bund Deutscher Jugend“ (BDJ) und seine Teilorgansiation „Technischer Dienst“ (TD) gegründete
wurden. Unter Führung von Paul Lüth und finanziert vor allem durch US-amerikanische Dienststellen sammelten sich dort insbesondere ehemalige Offiziere der Wehrmacht und der Waffen-SS. Als der
Bund deutscher Jugend 1953 verboten worden war, fand man unter anderem Listen mit Namen von 40 Personen – meist hochrangige SPD-Politiker, die am Tag X kaltgestellt beziehungsweise
aus dem Verkehr gezogen werden sollten.
Mitte der 50er Jahre wurde dann der „Befreiungsausschuss Südtirol“ gegründet, der Sprengstoffattentate verübte und im Verlauf der 60er Jahre 15 italienische Zöllner, Polizisten und
Militärangehörige tötete.
Aufkommen und Erstarken der antiautoritären Bewegung, die auf Entspannung angelegte Ostpolitik der sozialliberalen Koalition sowie das Scheitern der NPD bei der Bundestagswahl 1969 waren in der Deutung von Neonazis inner- wie außerhalb der NPD in den späten 1960er Jahren Anlass zu Radikalisierung und politisch motivierter Gewaltanwendung. Bis dahin waren viele Alt- und Neonazis noch davon ausgegangen, bald in ein Parlament nach dem anderen einzuziehen und so die junge Bundesrepublik auf legalem Wege unterminieren zu können. Die Erfolgswelle der NPD ab 1965 schien sie zu bestätigen. Doch spätestens mir deren Scheitern bei der Bundestagswahl 1969 galt der parlamentarische Weg als aussichtslos. Radikale Neonazis griffen daher zu den Waffen. Entsprechend agierte eine Reihe zahlenmäßig kleiner Gruppen wie die „Europäische Befreiungsfront“ (EBF), die „Gruppe Hengst“ (GH) oder die „Nationale Deutsche Befreiungsbewegung“ (NDBB) im Sinne eines terroristischen Antikommunismus, der gegen westdeutsche Kommunist*innen, die DDR und die sowjetischen Stationierungstruppen gerichtet war. Unter weit-gehender Ausklammerung der politischen Motive, die Europäische Befreiungsfront hatte beispielsweise einen Anschlag auf Willy Brandt und Willi Stoph in Kassel geplant, wurden von 25 Beschuldigten nur sechs zu geringen Strafen verurteilt. Die 1970 entstandene „Nationale Deutsche Befreiungsbewegung“ verstand sich als Vorstufe für die Gründung einer neuen NSDAP und verübte Anschläge auf Treffpunkte der politischen Linken und die der Sozialistische Einheitspartei Westberlin, SEW, nahestehende Zeitschrift „Westberliner Extradienst“. Der zehnte Jahrestag des Mauerbaus sollte in Berlin mit Schüssen über die DDR-Grenze sowie Brandsätzen als antikommunistischer „Großkampftag“ begangen werden. Am Tag zuvor wurden jedoch bei einer Hausdurchsuchung Waffen und Munition entdeckt.
Während sich die Aufmerksamkeit von Politik, Öffentlichkeit und staatlichen Kontrollinstanzen in den Folgejahren auf die politisch motivierte Gewalt von links konzentrierte und die staatliche Verfolgung gegen die extreme Rechte deutlich nachließ, entstanden ab Mitte der 1970er Jahre weitere rechtsterroristische Strukturen, in denen es zu einem intergenerationellen Zusammenschluss von Alt- und Neonazis kam. Auch die 1973 von Karl-Heinz Hoffmann gegründete und erst von Bundes-innenminister Baum 1980 verbotene „Wehrsportgruppe Hoffmann“ (WSGH) stand mit terroristischen Taten in Verbindung. Obwohl ihr Schwerpunkt in Bayern lag, gingen weder der damalige Innenminister Tandler von der CSU noch der Ministerpräsidenten Strauß gegen die Organisation vor oder verboten sie möglicherweise. 1976 verübte einer ihrer Anhänger einen Sprengstoffanschlag auf den US-amerikanischen Soldatensender AFN in München, bei dem er sich selbst schwer verletzte. Aus der Wehrsportgruppe kam auch Uwe Behrendt, der am 19. Dezember 1980 in Erlangen den Vorsitzenden der Jüdischen Kultusgemeinde Shlomo Levin und dessen Lebensgefährtin Frida Poeschke in deren Haus erschoss.
Im sogenannten Bückeburger Prozess 1979 kam der drei Jahre zuvor geschaffene Strafrechtsparagraf 129a (Bildung
einer terroristischen Vereinigung) erstmals gegen eine neonazistische Gruppierung zur Anwendung. Als neonazistischer Terrorist betätigte sich über beträchtliche Zeit auch Peter
Naumann. Nach 1970 über viele Jahre in der NPD und ihren Nebenorganisationen aktiv, wurden bei ihm 1974 erstmals zwei technisch komplizierte Sprengladungen gefunden. Vier Jahre später
verübte er mit Heinz Lembke in Italien einen Anschlag auf eine Gedenkstätte, die in der Nähe der Ardeatinischen Höhlen an die Ermordung von 335 zivilen italienischen Geiseln durch
die Waffen-SS im März 1944 erinnerte. Am 18. Januar 1979 versuchten Naumann und Lembke durch Sprengstoffanschläge auf Sendemasten, die Ausstrahlung des vierteiligen Fernsehfilms
„Holocaust“ zu stören.
Das Jahr 1980 markiert einen Höhepunkt des Terrorismus von rechts. Die von Manfred Roeder, einem ehemaligen CDU-Mitglied, aufgebauten „Deutschen Aktionsgruppen“
(DA) verübten mehrere Brand- und Bombenanschläge, bei denen zwei geflüchtete Vietnamesen im August 1980 starben. Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte Roeder 1982 wegen
Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung, nicht aber wegen Beteiligung an den von der Gruppe begangenen Anschlägen, zu 13 Jahren Gefängnis.
International machte der rechtsterroristische Anschlag im Hauptbahnhof der italienischen Stadt Bologna am 2. August 1980 Schlagzeilen, bei dem 85 Menschen starben
und über 200 verletzt wurden.
In München verübte Gundolf Köhler, ein Anhänger der Wehrsportgruppe Hoffmann, einen Anschlag auf das Münchner Oktoberfest, dem am 26. September 1980 13
Menschen zum Opfer fielen. 211 weitere wurden verletzt, davon 68 schwer.
Die nahezu drei Jahrzehnte von staatlichen Stellen vertretene Ansicht, Köhler habe das Verbrechen als Einzeltäter begangen, wird seit einigen Jahren durch neue Aktenfunde und seit 2014 durch neue
Zeugenaussagen substanziell infrage gestellt. Nach dem Verbot der Wehrsportgruppe setzten sich mehrere Mitglieder unter den Augen der Polizei in den Libanon ab, wo sie als „Wehrsportgruppe
Ausland“ (WSGA) in einem Lager der Palästinensischen Befreiungsorganisation militärisch ausgebildet wurden.
Dennoch wurde Karl-Heinz Hoffmann als unumstrittener Chef der Gruppe nach seiner Rückkehr Mitte Juni 1981 nur wegen Geldfälschung, Freiheitsberaubung, Nötigung und Verstoß
gegen das Sprengstoff- und das Waffengesetz verurteilt. Für den Doppelmord wurde er nicht zur Rechenschaft gezogen, obwohl er dem Täter mindestens bei dessen Flucht geholfen
hatte.
Seit 1975 hatten sich NPD-Anhänger auch in der „Volkssozialistischen Bewegung
Deutschlands/ Partei der Arbeit“ (VSBD/PdA) radikalisiert, die von Friedhelm Busse geführt wurde. Die Gruppe trat offen nationalsozialistisch auf und suchte die gewaltsame
Konfrontation mit der politischen und gewerkschaftlichen Linken im öffentlichen Raum.
Der Vorwurf der Gründung einer terroristischen Vereinigung im Sinne des Strafgesetzbuches wurde fallengelassen, da – so die Bundesanwaltschaft – Busse aus einer „wirtschaftlichen Notlage“ heraus
gehandelt habe.
Schließlich ist für die frühen 1980er Jahre noch die „Hepp-Kexel-Gruppe“ zu nennen, deren Mitglieder alle aus bereits gewalttätig auftretenden neonazistischen Gruppierungen kamen.
Mehrere Banküberfälle sowie die Anmietung konspirativer Wohnungen und die Anlage von Waffendepots im Rhein-Main-Gebiet waren von Beginn an Teil der Gruppenaktivität, bevor im Herbst 1982
Sprengstoffanschläge auf Angehörige der US- Streitkräfte in Frankfurt am Main, Butzbach, Darmstadt und Gießen verübt wurden. Hepp flüchtete in die DDR, wo er bereits seit 1981 über enge
Kontakte zum Ministerium für Staatssicherheit verfügte. Im Verlauf der 1980er Jahre wurden gegen die Mitglieder der „Hepp-Kexel- Gruppe“ Freiheitsstrafen zwischen fünf Jahren Jugendstrafe und 14
Jahren Haft ausgesprochen.
Mit der Verhaftung und Verurteilung zahlreicher rechtsterroristischer Täter*innen in der ersten Hälfte der 1980er Jahre war diese
Hochphase rechter terroristischer Gewalt zunächst abgeschlossen. Nutzung von Infrastruktur im Ausland, konspirative Wohnungen, Banküberfälle zur Finanzierung des Gewalthandelns und schwerste
Gewaltakte waren zentrale Merkmale. Zu den Anschlagszielen dieses Terrorismus gehörten dabei aus antikommunistischen Motiven zunächst insbesondere die politische Linke beziehungsweise Repräsentanten
und Grenzanlagen des sogenannten Realsozialismus, darüber hinaus auch Einrichtungen und Akteur*innen, die an die Shoah erinnerten.
Mit den verübten Brandanschlägen und den Bombenattentaten wurde bewusst auf die Erzeugung von Angst und Einschüchterung gesetzt; außerdem sollten politische Entscheidungen herbeigeführt werden, die
den Grundzügen extrem rechter Weltanschauung entsprechen – die Herstellung unbeschränkter Souveränität des deutschen Nationalstaates sowie die „Bewahrung des deutschen Volkstums“.
Terroristische Gewalt ist auch seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 ein integraler Bestandteil von Strategien
in der extremen Rechten. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den aus Angola stammenden Amadeu António Kiowa, einen Vertragsarbeiter in der ehemaligen DDR. Er ist der Namensgeber
der 1998 gegründeten Amadeu Antonio Stiftung, deren Ziel es ist, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und
Antisemitismus wendet. Kiowa war eines der ersten bekannten Todesopfer rechtsextremer Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland seit der Wiedervereinigung und wurde von Mitgliedern einer
Skinhead-Gruppe brutal zusammengeschlagen. Die mehr oder weniger danebenstehenden Polizisten griffen nicht ein. Einer der Täter sprang dem am Boden liegenden Kiowa mit beiden Füßen
auf den Kopf. Der 28-Jährige erlitt schwerste Kopfverletzungen. Er erwachte nicht mehr aus dem Koma und erlag elf Tage später am 6. Dezember 1990 den Folgen des Angriffs.
Ob „Nationale Einsatzkommandos“ gegen die politische Linke, eine „Werwolf Jagdeinheit Senftenberg“, die „Nationale Bewegung“, die bis heute
unaufgeklärten Anschläge auf die Grabstätte des langjährigen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, am 19. Dezember 1998 in Berlin und auf den jüdischen Friedhof in
Berlin am 16. März 2002 oder das „Freikorps Havelland“, das sich zum Ziel gesetzt hatte, als „Ausländer“ identifizierte Menschen zu terrorisieren und zunächst aus dem Havelland,
später dann aus Deutschland überhaupt zu vertreiben – sie alle richten sich gegen diejenigen, die sie als „Feinde des deutschen Volkes“ ansehen.
Dies verbindet den versuchten Sprengstoffanschlag auf ein jüdisches Kulturzentrum in München im November 2003 mit der rassistischen Mordserie des NSU sowie der
Vielzahl von rechten Zusammenschlüssen, die sich im Zusammenhang mit der Aufnahme von Schutz und Auskommen suchenden Menschen in Deutschland ab 2014 dazu legitimiert sahen, gegen eine interkulturelle
und interreligiöse Gesellschaft mit terroristischer Gewalt vorzugehen.
Während ein Teil der Gruppen wie beispielsweise die „Oldschool Society“ oder die „Bürgerwehr Freital“ aufgedeckt und strafrechtlich belangt wurden, ist eine Vielzahl
von entsprechenden Straftaten nicht aufgeklärt. Erwähnt seien hier auch die zu Beginn der neunziger Jahre in Hoyerswerda, Mölln und Solingen verübten mörderischen Anschläge auf
Ausländer mit rassistischen und neonazistischem Hintergrundgrund genannt, von Jugendlichen und jungen Erwachsenen begangen.
Rechtsterrorismus tritt inzwischen in vielfältiger Form auf, nutzt Social-Media-Kanäle zur Tatvorbereitung und -ausführung,
orientiert sich an internationalen Vorbildern und hat in jüngster Zeit mit Angriffen auf den Altonaer Bürgermeister Andreas Hollstein und die heutige Kölner
Oberbürgermeisterin Henriette Reker eine neue Stoßrichtung bekommen. Diese terroristische Gewalt, die umfassende mediale Resonanz hervorruft, ist zugleich Teil einer viel umfangreicheren
Gewalt von Rechtsaußen, die alltäglich stattfindet und deren Opfer meist namenlos bleiben.
Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 2. Juni 2019, übrigens kein ganzes Jahr nach dem NSU-Prozess, sowie der Versuch eines Neonazis in Halle an der
Saale am 9. Oktober 2019, sich den Weg in eine Synagoge frei zu schießen, um die dort versammelten Juden zu ermorden, sind die beiden jüngsten Fälle rechtsextremistischen Terrorismus, die
von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wurden.
Nach den rassistisch motivierten Morden und Anschlägen des „National-sozialistischen Untergrunds“(NSU) zwischen 1999 und 2007 haben sie die Relevanz rechtsterroristischer Aktivitäten und Strukturen erneut verdeutlicht. Zugleich verweisen sie auf eine lange Geschichte entsprechender Gewalt in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte. Zwar gab es auch in der DDR eine signifikante gewaltbereite Szene, jedoch keine rechtsterroristischen Strukturen.
Wegen der Bedeutung des NSU-Prozesses hier einige zusätzliche Bemerkungen:
André Eminger (geboren 1979) ist ein deutscher Rechtsextremist. Er unterstützte über 14 Jahre die rechtsextreme Terrorgruppe NSU. Eminger wurde am 11. Juli 2018 im NSU-Prozess wegen
Unterstützung dieser terroristischer Vereinigung zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Er wird als der „treueste Unterstützer“ der Rechtsterrorzelle bezeichnet, zeigte keine Reue
und bewegt sich weiterhin in der rechtsextremen Szene. Als das Gericht dann Eminger, für den die Bundesanwaltschaft zwölf Jahre Haft gefordert hatte, an jenem 11. Juli 2018 nur zu zweieinhalb Jahren
verurteilte, brachen seine rechtsradikalen Kameraden im Gerichtssaal in Jubel aus. Seine Neonazi-Kameraden feierten das Ende des NSU-Prozesses als ihren Sieg, nicht als Sieg des Rechtsstaats. Das
Gericht hob nach der Urteilsbegründung den Haftbefehl gegen Eminger auf, weil bei dem Strafmaß eine Untersuchungshaft unverhältnismäßig sei. Ein Kommentar stellte klar fest, das Urteil hinterlasse
den Eindruck, dass sich Reue nicht lohne, aber dafür Schweigen. Allem Anschein warten die Prozessbeteiligten immer noch auf das schriftliche Urteil der Richter des Münchner Oberlandesgericht, da die
Bundesanwaltschaft Revision beim Bundesgerichtshof gegen dieses Urteil einlegen will.
Besonders das OLG München hat versucht, den Prozess angesichts von zehn angeklagten Morden, 15 Raubüberfällen und zwei Sprengstoffanschlägen so schlank wie möglich zu halten, und es
hat auch die drängenden Fragen nach der Mitverantwortung des Staates für die Mordserie weitgehend ausgeklammert. Die Möglichkeiten der Bundesanwaltschaft, in Zukunft noch weitere Helfer und
Helfershelfer des NSU vor Gericht zu bringen, sind durch das Urteil gegen Null geschrumpft. Denn der Senat sah es selbst beim engste Vertrauten des NSU-Trios, André Eminger, als nicht zu beweisen an,
dass er von den Morden gewusst hat – obwohl Zschäpe selbst erklärt hatte, sie habe ihm vertraulich von den Raubüberfällen der Zelle erzählt.
Man muss es deutlich sagen: Von der Justiz haben die Angehörigen der Opfer nun nichts mehr zu erwarten.
Doch das Gericht ließ sich nur in Maßen darauf ein, den Sumpf der rechtsradikalen Szene zu durchleuchten, aus dem die Täter kamen. Im NSU-Prozess wurde klar, wie sehr das untergetauchte Trio
eingebettet war in die Szene der gewalttätigen „Blood and Honour“-Bewegung, deren Mitglieder den Dreien Wohnungen besorgten, Pässe gaben, Geld sammelten und sie zu Grillpartys
einluden. Von „Untergrund“ konnte beim NSU anfangs keine Rede sein, da bewegten sie sich in der „Blood and Honour“-Szene von Chemnitz wie Fische im Wasser. Die Rechtsradikalen sind bis heute bestens
vernetzt, können sich schnell organisieren und zeigen gerne, wie stark sie sind – wie man auch bei den Aufmärschen in Chemnitz im August 2018 gesehen hat.
Das beobachten auch die Angehörigen der Opfer und die Beteiligten im NSU-Prozess. Sie sehen, wie unbeeindruckt die Rechtsradikalen sind. Aber der letztendliche Beweis, dass der Verfassungsschutz den
NSU wissentlich gewähren ließ, ihn gar unterstützte, wurde weder in den Untersuchungsausschüssen noch im Prozess erbracht. Mehr als durch persönliche Verfehlungen einzelner Verfassungsschützer wurden
die Ermittlungen durch „Dienst nach Vorschrift“, Eifersüchteleien in den Ämtern, Geheimniskrämerei und Ländergrenzen gebremst.
Als hätten die NSU-Terroristen das geahnt, zogen sie von Jena in Thüringen in den Untergrund nach Sachsen, erst nach Chemnitz, dann nach Zwickau. Der Informationsfluss der Sicherheitsbehörden wurde
so nachhaltig unterbrochen. Aber auch diese strukturellen Defizite, die Sicherheitsbehörden sowie ihr Versagen kamen im Urteil des OLG München nicht vor.
Es war eine Tiefenbohrung in die Gesellschaft, die gefährliche Sedimente unter der Oberfläche wirtschaftlich blühender Landschaften und einer scheinbar gefestigten Demokratie zutage förderte.
Der NSU-Prozess gab den Blick frei in die Seele von Demokratiefeinden, sezierte die deutsch-deutschen Verwerfungen seit dem Ende der DDR und legte die Fehler des Zusammenwachsens von Ost und West
bloß. Wie unter einem Brennglas zeigte er die dunklen Seiten von fast 30 Jahren Wiedervereinigung.
In dem Jahr nach dem Urteil im NSU-Prozess hat sich die rechtsradikale Szene deutlicher gezeigt als je zuvor. Zudem haben
Vorkommnisse in Polizeibehörden Zweifel daran gesät, die Lehren aus dem Prozess angekommen sind:
1. Keine zwei Monate nach dem Prozess in Chemnitz: Es kam zu gewalttätig Ausschreitungen insbesondere am 26. und 27. August sowie am 1. September 2018 nach einer Auseinandersetzung
am Rande des Chemnitzer Stadtfestes, bei der durch Messerstiche ein Mann tödlich und zwei weitere schwer verletzt worden waren. Rechte und rechtsextreme Gruppen
hatten aufgrund von Nachrichten zum Migrationshintergrund bzw. Flüchtlingsstatus der mutmaßlichen Täter zu Demonstrationen aufgerufen. In der Folge griffen organisierte Rechte und Neonazis
tatsächliche oder vermeintliche Migranten, Gegendemonstranten, Polizisten sowie Pressevertreter und unbeteiligte Passanten sowie mutmaßlich ein jüdisches Restaurant an. Am 1. September marschierten
Pegida und AFD Seit an Seit und die nationalsozialistische Szene war mit dabei.
2. In diesem einen Jahr haben sich acht Männer zur Terrorgruppe „Revolution Chemnitz“ zusammengeschlossen. Sie wollten – so die Anklage – in Berlin ein Attentat
begehen, es den Linken anhängen und dann mithilfe sympathisierender Polizisten den Umsturz der Republik betreiben. Am 30. September 2019 begann vor dem OLG Dresden der Prozess gegen
sie.
3. In diesem einen Jahr wurde die Anwältin Seda Başay-Yıldız aus Frankfurt am Main, die im NSU-Prozess eine Opferfamilie vertrat, von Polizisten mit dem Tod
bedroht.
4. In diesem einen Jahr wurde bekannt, dass ein hessischer Polizist zweimal interne
Polizeidaten über einen rechtsradikalen Gewalttäter der „Aryans“ an dessen Freundin und Helferin herausgab. Als bei ihm neben Messern und Pistolen auch eine Hakenkreuzfahne entdeckt
wurde, tat die zuständige Staatsanwältin das als „Geschmackssache“ ab. Das Wort steht für Arier und markiert eine rechtsextreme Gruppe, Kahlköpfe und schwarze Pullover, gegen die der
Generalbundesanwalt ermittelt.
5. In Sachsen hielten es zwei SEK-Polizisten für angebracht, einem Kollegen zur Tarnung den Namen des NSU-Mörders Uwe Böhnhardt zu geben, der auch die SEK-Polizistin Michèle
Kiesewetter getötet hatte.
6. Eine Gruppe namens „Staatsstreichorchester“ versandte Mails in der Republik, in denen sie Rechtsradikalen anbot, über ihre Internet-Plattform Straftaten
zu organisieren. O-Ton: „Hoffentlich finden wir jemanden, der Polizisten ins Genick schießen möchte, einfach nur deshalb, weil es viel zu lange her ist, dass hierzulande welche abgeknallt
wurden.“
7. In diesem einen Jahr wurden in Rostock bei einem früheren SEK-Polizisten 30.000 Schuss Munition gefunden, Leichensäcke und Löschkalk, wie man ihn für Massengräber
verwendet und bei seinem Freund, einem rechtsradikalen Anwalt, eine Feindesliste mit Kommunalpolitikern und engagierten Bürgern, die dann am „Tag X“ hingerichtet werden sollten.
Beide sind Mitglieder von „Nordkreuz“, einem Ableger des rechten „Hannibal“-Netzwerks, das sich aus aktuellen und ehemaligen Angehörigen der Polizei und der
Bundeswehr gebildet hat. Die Staatsanwaltschaft Schwerin erhob im September 2019 Anklage gegen den suspendierten Polizisten.
8. Am 1. Juni 2019 wurde im nordhessischen Wolfhagen-Istha der Kasseler
Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) ermordet.
9. Am 9. Oktober 2019 dann versuchte ein Rechtsextremer in Halle an der Saale, eine Synagoge zu stürmen und ein Blutbad
anzurichten. Da ihm dies nicht gelang, erschoss er dafür zwei Unbeteiligte.
10. 14 Wochen nach diesem Anschlag ist der Hass wieder in Halle an der Saale unterwegs: Unbekannte schossen auf die Scheiben des Büros des SPD-Bundestagsabgeordneten
Karamba Diaby, weil er im Senegal geboren war, Schwarzer und in der SPD ist und, und... Glücklicherweise waren er und seine Mitarbeiterin nicht im Büro. Ironie des Schicksals: er ist
Integrationsbeauftragter der SPD-Bundestags-fraktion.
11. Der Bürgermeister Dieter Spürck der nordrhein-westfälischen Stadt Kerpen, westlich von Köln, verzichtet auf eine erneute Kandidatur. Als Auslöser seiner
Entscheidung nannte er eine Nachricht, die er in seinem Briefkasten gefunden habe. Darauf stand, dass seine Kinder es zu spüren bekämen, wenn er sich nicht intensiver für den Hambacher Wald
einsetzte. Allerdings hatten zuvor Gegner der Flüchtlingspolitik, ihn versucht einzuschüchtern.
12. Der Bürgermeister Kamp-Lintforts, einer Stadt nordwestlich von Duisburg, hatte einen Waffenschein beantragt, da sich sich seit der Europawahl massiv von
Rechtsextremen bedroht fühlt. Den Antrag eines Waffenscheins hat er zwischenzeitlich zurückgezogen.
13. Schon in den Wochen zuvor hatten mehrere Kommunalpolitiker:innen Konsequenzen aus Gewalt- und Morddrohungen gezogen, hier nur drei Beispiele:
● Arnd Focke, SPD, ehrenamtlicher Bürgermeister von Estdorf in Niedersachsen legte sein Amt nieder, weil er Drohbriefe und nächtliche Drohanrufe von Rechts-extremen erhalten
hatte.
● Silvia Kugelmann, SPD-Bürgermeisterin von Kutzenhausen in Bayern verzichtet auf eine weitere Kandidatur, weil sie Drohbriefe erhalten hat und ein Nagel in ihren Autoreifen gedrückt
worden war.
● Martina Angermann, SPD-Bürgermeisterin von Arnsdorf in Sachsen, trat im November vom Amt zurück, nachdem sie über Jahre von der rechten Szene gemobbt worden war.
Der NSU-Prozess hat den Blick geöffnet für die seit Langem bestehenden, aber immer verschatteten Abgründe im Land. Er hat gezeigt, wie sehr sich das
rechtsradikale Gedankengut vom Rand in die Mitte der Gesellschaft vorgefressen hat. Als der Prozess nach fünf Jahren, zwei Monaten und sechs Tagen im Juli 2018 zu Ende ging, hatte sich das Land
verändert: Der Hass, mit dem der NSU scheinbar exklusiv wütete, hatte sich ausgebreitet und weite Teile der Bevölkerung infiziert. Wer gedacht hatte, nach diesem Prozess habe sich das Problem der
rechten Gewalt in Deutschland erledigt, muss spätestens jetzt erkennen: Das ist reines Wunschdenken.
Mit Blick auf den Hass, besonders in den sogenannten Social-Media, möchte ich einige Sätze aus dem Dossier der Wochenzeitschrift
„Die Zeit“ vom 30. Januar 2020 mit dem Titel „Wellen des Hasses“ zitieren:
Sicher, es gibt auch Drohungen von Linken, doch 75 Jahre nach Kriegsende hat sich in der Bundesrepublik eine Bedrohungskultur entwickelt, die vom deutschen Volk schwärmt und von Volksverrätern
spricht. Es geht wieder um Begriffe wie Nation, Identität, Schädlinge, um Leben, das angeblich mehr wert ist als anderes Leben. Es geht gegen Minderheiten, gegen Ausländer, gegen Flüchtlinge und
gegen Menschen, die sich für Ausländer und Flüchtlingen engagieren. Es geht gegen Menschen, die sich der Gefahr von rechts entgegenstellen. Manchmal reicht schon ein Gesicht als Auslöser.
Unter der Rubrik „Nachrichten“ berichtete die FR vom 6. Februar 2020: die Zahl der politisch motivierten Angriffe auf Politiker im Jahr 2018 mit 1.256 Anschlägen stieg im Jahr 2019 auf 1.451, das
sind 195 Anschläge mehr oder rund 16 %. Davon entfielen 539 auf Rechte und 270 auf Linke, also genau die Hälfte.
Die Quellen der Ausführungen von Müller-Grundstock:
Aus Politik und Zeitgeschehen: Rechtsterrorismus, Ausgabe 49-50/2019 vom 2. Dezember 2019, die Beiträge von Annette Ramelsberger und Fabian Virchow.
Felix Bohr: Die Kriegsverbrecherlobby, bpb Band Nr. 10392 „Internetrecherche"
* Bei der vorliegenden Dokumentation handelt es sich um einen leicht gekürzten Vortrag von Richard Müller-Grundschock, den der Autor im Rahmen einer Lehrveranstaltung im Januar 2020 an der Frankfurter Universität gehalten hat. Müller-Grundschock hat mich autorisiert, den Vortrag auf meiner Homepage zu veröffentlichen. (Hervorhebungen von mir - HS).