Am 18. Mai 1848 trat in Frankfurt zum ersten Mal die

deutsche Nationalver-sammlung zusammen.

Es war die Geburtsstunde der deutschen Demokratie. Sie überlebte nur etwas mehr als ein Jahr bis zur Kapitulation der Freiheitskämpfer in der badischen Festung Rastatt vor den preußischen Truppen am 23. Juli 1849.

1933 hat »der Nationalsozialismus in der Demokratie mit der Demokratie die Demokratie besiegt.« So Hitler im Originalton.

Heute im Jahr 2023 ist die Demokratie in Deutschland und vielen anderen Staaten der Welt wieder bedroht und von populistischen Ideologien durchsetzt oder hat sich bereits hin zu illiberalen, autokratisch-populistischen und faschistischen Staatsformen entwickelt. Es lohnt sich also, genauer hinzusehen und deren Charakteristika herauszu- arbeiten.

Es ist Zeit die Demokratie neu mit Leben zu füllen.

 

Leserempfehlung: DEMOKRATIE LEBEN!

"...Geradezu eine Pflichtlektüre für politische Bildung in der aktuellen Situation." (Herbert Kramm-Abendroth)

 

 

Das Buch öffnet die Augen für das, was wichtig ist im Leben.
"Wenn wir Neues schaffen wollen, müssen wir uns von dem bloß passiv-betrachtenden Denken, dem Zukunft fremd ist, lösen. Wir müssen den Willen zum Verändern der Welt,in der wir leben aufbringen und den Mut haben, unser Wissen und Denken auf die noch ungewordene Zukunft ausrichten."
(aus: GUTES LEBEN, S. 330)

 

Spannender histori-scher, biografischer Roman über Olympe de Gouges: Warum nicht die Wahrheit sagen.

»Ich bin eine Frau. Ich fürchte den Tod und eure Marter. Aber ich habe kein Schuld-bekenntnis zu machen. Ist nicht die Meinungs-freiheit dem Menschen als wertvollstes Erbe geweiht?«

So verteidigte sich Olympe de Gouges vor dem Revolutionstribunal in Paris. Eine kompromisslose Humanistin, eine sinnliche, lebenslustigeund mutige 

Frau, die der Wahrheit unter Lebensgefahr zum Recht verhelfen will und als erste Frau in der Geschich-te  auch für das weibliche Geschlecht die Bürger-rechte einfordert. Die Zeit vor und während der Französischen Revolution gewinnt in dieser historisch-authentischen Gestalt Lebendigkeit und atmosphärische Dichte.

 

Piano Grande
Ein Roman über die Liebe in Zeiten der Krise.

Der Roman Piano Grande

zeichnet ein eindringliches Porträt des ersten Jahr-zehnt dieses Jahrhunderts, in dem die Finanz- und Wirtschaftskrise die Welt an den Rand des Abgrunds brachte.

Der Roman wirft auf dem Hintergrund einer großen Liebesgeschichte "einen sezierenden Blick auf die Gesellschaft und ihre Eliten..., die die Welt im Jahr 2008 in eine wirtschaftliche Kata-strophe geführt haben ..." (Wetterauer Zeitung)

 

Als vertiefende Ergänzung zu dieser Wirtschafts- und Finanzkrise empfehle ich Ihnen meinen Essay: Demokratischer Marktsozialismus. Ansätze zu einer bedürnisorientierten sozialen Ökonomie.

 

(Käthe Kollwitz)

 

Was ist das für ein demo-kratisches System, das unfähig ist, den Mord-versuch vom 6. Januar 2021 an ihrer Demokratie zu ahnden?

Unter Nice-to-now habe ich für Sie Ausschnitte aus der Rede von Trump zur Wahl und den Sturm auf das Kapitol zusammen-gestellt.

 

Besuchen Sie auch meine Autorenseite Henning Schramm  auf Facebook. Ich würde mich freuen, wenn sie Ihnen gefällt.

 

Ich möchte mich auch über das rege Interesse an meiner Homepage mit über 400.000

Besucherinnen und Besuchern bedanken.

 

Die Katastrophe - 1750

 

 

 

Die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts begann für die Stadt an der Tarn mit einer verheerenden Naturkatastrophe. Es war im Herbst 1750. Es regnete schon seit Tagen. Sturzbächen gleich prasselte der Regen auf die Erde, weichte den Boden auf und ließ die Bäche und Flüsse anschwellen. Grelle Blitze und Donnergrollen. Tag und Nacht. Die Bevölkerung von Montauban suchte Schutz in ihren kümmerlichen Häusern und hoffte, dass das Unwetter bald zu Ende ging. Die Straßen und Wege insbesondere in den tieferliegenden Stadtteilen rechts der Tarn verwandelten sich in unpassierbare, knietiefe Drecklöcher, die engen Gassen in der Stadt in schlammige Bäche. Die Wasser der Tarn stürzten sich aus den Cevennen kommend in die Stadt. Die Uferböschung war aufgeweicht und hielt den Wassermassen nicht mehr stand. Der Tarn trat über die Ufer, riss alles mit: Häuser, Tiere, Menschen. Das Wasser strömte in die Stadt, überschwemmte Plätze und Straßen. Häuser, vom Blitz getroffen, brannten. Die Sturmglocken von Montauban läuteten. Die Männer der Stadt liefen auf die Straßen, um zu helfen, wo es kaum noch etwas zu helfen gab. Auch Pierre Gouze beteiligte sich an den Hilfsaktionen. Tausendfünfhundert Häuser wurden von dem Hochwasser zerstört und unzählige Menschen von den Fluten getötet. Auch Pierre Gouze.

Anne-Olympe war Witwe geworden und die Familie mit dem Tod des Ernährers mit einem Schlag fast mittellos. Noch hatte Anne-Olympe zwar etwas Vermögen aus der Mitgift ihrer Eltern. Aber wie lange würde es reichen, um drei Kinder und sie selbst zu versorgen?

Jean-Jacques de Pompignan bot sich in dieser Situation an, Marie zu sich zu nehmen.

»Ich werde dafür sorgen, dass sie eine gute Erziehung bekommt. Ich habe Verantwortung für sie, es soll ihr an nichts fehlen.«

»Du denkst an eine standesgemäße Erziehung?«

»Ja, eine Erziehung, die ihrer Herkunft entspricht.«

Anne-Olympe sah ihn fragend an.

»Wie willst du das machen, wo soll sie hin?«

»Sie kommt zu mir, und ich werde sie erziehen.«

»Und ich, was wird mit mir?«

»Was soll mit dir werden? Du bleibst bei Jean und Jeanne. Bei deinen finanziellen Verhältnissen hast du es mit diesen beiden Kindern schon schwer genug, sie durchzubringen.«

»Du willst mir Marie wegnehmen?«

»Ich will sie dir nicht wegnehmen, sondern ihr eine gute Erziehung ermöglichen.«

»Du nimmst sie mir aber weg. Kann ich sie sehen, wann ich will?«

»Es wird für sie besser sein, wenn ihr euch nicht seht. Sie muss sich an die neue Umgebung gewöhnen. Es wird nicht gut für sie sein, zwischen zwei Welten zu pendeln. Ich werde sie wie mein eigenes Kind behandeln.«

»Sie ist dein eigenes Kind, und ich bin seine Mutter.«

»Ja.«

»Was heißt ja? Ist sie dein Kind oder nur wie dein Kind?«

»Sie ist mein Kind, aber illegitim.«

»Ein minderwertiges Kind also, und dann soll es auch noch ohne Mutter aufwachsen. Was glaubst du? Ist das gut für das Kind?«

»Es ist das Beste für Marie.«

»Marie braucht eine Mutter.«

»Marie braucht eine gute Erziehung.«

»Glaubst du, ich kann sie nicht erziehen?«

»Du kannst sie erziehen, aber dir fehlen die Mittel.«

»Weil mir die Mittel fehlen, glaubst du, sie mir wegnehmen zu können.«

»Ja, das glaube ich. Es wäre das Beste für Marie.«

»Das sagtest du schon. Du wiederholst dich.«

»Anne-Olympe, sei nicht starrköpfig. Lass sie zu mir. Was kannst du ihr bieten?«

Anne-Olympe erhob sich von ihrem Stuhl und ging im Zimmer auf und ab, bis sie schließlich dicht vor ihm stehen blieb.

»Ich kann ihr alles bieten, was ein Kind braucht. Ich habe genug Milch und eine Wohnung. Sie ist meine Tochter und bleibt bei mir und den anderen Geschwistern. Ich möchte nicht, dass sie ohne Mutter aufwächst und ich möchte nicht, dass sie vergisst, woher sie kommt und zu wem sie gehört«, sagte Anne-Olympe mit fester Stimme.

»Sei nicht dumm, ich kann deiner Tochter alles ermöglichen.«

»Du bekommst meine Tochter nur mit mir zusammen.«

»Was heißt das, ich verstehe nicht?«

Jean-Jacques war irritiert und betrachtete sie verwundert.

»Das ist doch ganz einfach zu verstehen. Habe den Mut, mich zu heiraten, ich bin ja jetzt Witwe. Und anerkenne Marie als deine Tochter.«

»Du weißt, dass das unmöglich ist. Selbst, wenn ich wollte.«

»Nichts ist unmöglich, wenn man will. Irgendwann wird die Zeit kommen, wo das normal sein wird. Mach du den Anfang. Zeig der Welt, dass die unmenschlichen Schranken, die Liebende auseinanderreißen, nicht für die Ewigkeit Bestand haben müssen.«

Jean-Jacques erhob sich ebenfalls. Fassungslos, verstimmt.

»Sie sind störrisch, undankbar und hochmütig!«, schleuderte er ihr mit hochrotem Kopf entgegen und fiel, ohne es zu merken, in die gebräuchliche Anrede zurück. »Ich kann nichts mehr für Sie tun.«

»Marquis, auch wir haben unseren Stolz und unsere Ehre. Sie sind meiner Tochter nicht würdig, wenn sie nicht den Mut und den Willen haben, ihrem Herzen zu folgen, sich gegen die Ordnung zu stellen, und das Geschick von Marie mit mir zu teilen«, antwortete sie unbeugsam.

Ihr Körper zitterte kaum merklich. Sie wusste, was seine Sätze bedeuteten, und es kostete sie große Anstrengung, einen Zusammenbruch zu vermeiden. Diese Blöße wollte sie sich vor ihm aber nicht geben.

Jean-Jacques Lefranc de Pompignan starrte Anne-Olympe ungläubig an, wandte sich langsam von ihr ab und verließ das Zimmer. Er verstieß sie und mit ihr auch seine Tochter, die er fortan verleugnete und aus seinem Leben zu löschen versuchte.

 

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Marie war noch nicht ganz fünf Jahre alt, als Anne-Olympe der Schmerz über die Zurückweisung langsam nachließ und sie die Zeit gekommen sah, unter ihre Vergangenheit einen Schlussstrich zu ziehen, ihrem Leben eine neue Wende und ihrer jüngsten Tochter wieder einen Vater zu geben. Anne-Olympe vermählte sich am 6. Februar 1753 mit Dominique-Eaymond Cassaigneau, einem untergeordneten Polizeibeamten und Sohn eines Händlers aus Esparsac und gebar ihm später eine weitere Tochter.

Die Mutter schickte Marie in die Schule der Ursulinen in Montauban. Eine Schule, in der die Mädchen mehr schlecht als recht lesen und schreiben lernten. Beim Schreibunterricht war man in der Schule wie auch ganz allgemein in der Bevölkerung der Meinung, dass es, insbesondere hinsichtlich der Mädchen, zu nicht viel mehr reichen brauchte, als notarielle Urkunden oder den Ehekontrakt unterschreiben zu können. Dass Marie überhaupt eine Schule besuchen durfte, war schon ein Privileg. Die übergroße Mehrzahl der Mädchen komme nicht in den Genuss einer Schulbildung, wie ihre Mutter Marie gegenüber oftmals betonte. Die Sprech- und Schreibsprache in dieser südfranzösischen Provinz war okzitanisch, das nur entfernt mit dem Französischen zu tun hatte. Die Absolventen der Schule waren, wie auch der überwiegende Teil der Bevölkerung, nicht in die Lage, sich mit französisch sprechenden Menschen aus anderen Landesteilen problemlos verständigen zu können.

Die Aussichten für Marie, einmal selbständig ihr Leben gestalten zu können, waren, wie für alle Mädchen, miserabel. Das Beste, was ihnen passieren konnte, war, sich von ihren Eltern möglichst schnell verheiraten zu lassen. So war es auch bei ihrer Schwester Jeanne gewesen, die schon mit fünfzehn Jahren mit einem Lehrer aus Montpellier, Pierre Reynard, verheiratet wurde, mit dem sie sich nach der Geburt des ersten Kindes in Paris niederließ.

War in diesen frühen Jahren der erstaunliche Weg, den Marie einmal einschlagen wird, schon vorgezeichnet, gab es Anzeichen, die sie aus dem Kreis Gleichaltriger heraushob?

Marie war ein außerordentlich hübsches Mädchen. Große braune Augen, südländisches pechschwarzes Haar, natürlich gewellt. Die feinen, regelmäßigen Gesichtszüge entsprachen ganz dem Schönheitsideal ihrer Zeit. Sie war grazil und anmutig, was ihr schon in frühen Jahren den Kosenamen Babichette einbrachte. Aber sie wirkte bei aller Feenhaftigkeit nie zerbrechlich oder mimosenhaft, vielmehr strahlte sie kokettes südländisches Temperament aus. Ein Gemenge, das viele Männer beeindruckte. Sie war sich ihrer Anziehungskraft bewusst und verstand es, diesen Trumpf für ihre Zwecke einzusetzen. Aber sie war eben nicht nur hübsch, sensibel und charmant, sondern im gleichen Maße auch intelligent und neugierig. Sie verflocht Lebensfreude und Natürlichkeit mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein und Sensibilität mit Mut und Unerschrockenheit, die oftmals ins Ungestüme, bisweilen ins Sprunghafte und in Unbeherrschtheit umschlug.

Diese Charaktermerkmale, die noch im Keimen waren, machten in ihrer Ungestimmtheit den besonderen Reiz, die frische Unbekümmertheit von Marie in diesen Jugendjahren aus. Sie stürzte sich sorglos in das gesellschaftliche Leben von Montauban. Sie musste sich nicht beweisen. Sie konnte mit sich und den anderen spielen. Sie nutzte die Zeit, auszuprobieren, wie die Männerwelt funktionierte, wie sie deren erotische Fantasien entfachen und wie man sie beeindrucken und bezaubern konnte. Sie erfreute sich daran, umschwärmt zu werden und sah es als Lohn ihrer Bemühungen, wenn es ihr gelungen war, im Mittelpunkt zu stehen, Konkurrentinnen verdrängt zu haben. So anmutig und charmant sie einerseits sein konnte, so durfte sich andererseits niemand Frechheiten oder Anzüglichkeiten über sie in ihrer Anwesenheit erlauben. Von einem Moment zum anderen konnte ihre Stimmung umschlagen. Dann konterte sie mit beißender Schlagfertigkeit und, wenn sie sich verletzt fühlte oder die Grenzen des Anstands überschritten wurden, ließ sie auch ihrem Zorn, der an Jähzorn grenzte, und ihrer Angriffslust freien Lauf. Sie hat den Teufel im Leib, wenn sie zornig ist, munkelte man über sie.

 

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Die Mutter saß kerzengerade auf ihrem Sessel vor dem Fenster und lächelte ihrer Tochter aufmunternd zu, als sie eintrat. Ihr Bruder stand neben der Mutter, eine Hand auf ihrer Schulter, und der Vater saß an dem runden Tisch, der in der Mitte des Zimmers stand. Vor ihm lag ein Dokument. Marie hatte ein ungutes Gefühl. Es musste etwas Schwerwiegendes vorgefallen sein. Es passierte äußerst selten, dass die Familie sich so versammelte. Ihr Stiefvater ergriff das Wort und eröffnete ihr, dass sie mit der Familie Aubry eine Einigung erzielt hätten und sie ihre Tochter Louis-Yves Aubry zur Frau geben werden. Die Eltern von Louis-Yves, der noch minderjährig war, hätten bereits ihre Zustimmung zu der Hochzeit gegeben. Als Hochzeitstermin sei von den Familien der 24. Oktober 1765 festgesetzt worden.

Marie konnte nicht glauben, was sie hörte.

»Nie werde ich diesen ungehobelten Jungen heiraten. Er ist ja noch ein halbes Kind.«

Marie wehrte sich mit Händen und Füßen, sie war entsetzt, sie schrie ihre Eltern an, dass sie ihr Leben zerstören würden, dass sie alle ihre Träume zertrümmerten. Lieber würde sie sich umbringen, als diesen Rüpel zu heiraten. Sie ging aufgeregt in dem kleinen Raum hin und her, warf ihren Eltern wütende Blicke zu.

»Nie, nie, niemals. Das könnt ihr mir nicht antun!«

Die Eltern blieben hart.

»Du hast genug geträumt. Es wird Zeit, dass du Boden unter die Füße bekommst und dich in das fügst, was deiner Herkunft angemessen ist. Es ist keine schlechte Partie. Monsieur Aubry hat eine sichere Anstellung und verdient gut. Er wird dir eine sorglose Zukunft bieten und dich und deine Kinder ernähren können. Sei nicht undankbar!«

»Ich kann nicht! Ich liebe ihn nicht. Nein, ich hasse ihn.«

»Die Liebe ist nicht das Wichtigste in der Ehe. Dein Mann gibt dir Sicherheit, das ist viel wertvoller. Und du wirst sehen, Marie, mit der Zeit und mit den Kindern kommt auch die Zuneigung«, sagte die Mutter.

»Du musst. Die Entscheidung ist getroffen«, sagte der Stiefvater. »Vielleicht erleichtert es dich, wenn du weißt, dass wir in dem Ehevertrag gut für dich gesorgt haben, falls doch etwas mit deinem Mann geschehen sollte. Deine Mitgift ist großzügig bemessen, und da wir Gütertrennung vereinbart haben, wirst nur du über dieses Vermögen verfügen.«

Der Stiefvater blätterte in dem vor ihm liegenden Dokument.

»Deine Mitgift an Möbeln und Hausrat beträgt achthundert Livres, dazu kommen nochmal sechshundert Livres an Bargeld. Dein zukünftiger Mann wird dreihundertneunundneunzig Livres und neunzehn Sols in die Ehe einbringen. Die Unterzeichnung des Kontrakts der Verlobten ist am 7. Februar bei dem Notar Maître Grellau.«

»Das interessiert mich nicht!«, schleuderte sie ihrem Stiefvater entgegen, verließ wutschnaubend die Stube und warf die Tür hinter sich zu.

 

Zwanzig Jahre später wird Marie in Paris ihre Memoiren veröffentlichen und über diese Entscheidung ihrer Eltern schreiben:

Ich war kaum sechzehn, als man mich mit einem Mann verheiratet, den ich durchaus nicht liebte und der weder wohlhabend noch guter Herkunft war. Ich wurde geopfert ohne ersichtlichen Grund, der meine Abneigung hätte aufwiegen können. Man verweigerte mir sogar die Ehe mit einem Mann von hohem Stande, der mich zu heiraten wünschte. Von da an fühlte ich mich meinem Stand überlegen, und wäre es nach meinem Geschmack gegangen, wäre mein Leben weniger wechselhaft verlaufen und meine Geburt das einzige romanhafte darin geblieben.

 

Die Trauung fand, wie von den Eltern geplant, im Oktober in der Kirche Saint-Jean de Villenouvelle in Montauban statt.

Am Abend des Hochzeitstags forderte Louis-Yves sein Recht als Ehemann ein. Er war betrunken. Marie verweigerte sich ihm und rief empört: »Rühr mich nicht an!«

»Du gehörst mir! Ich will dich jetzt. Ich verlange von dir, was mir zusteht.«

»Werd‘ erst einmal wieder nüchtern, dann können wir darüber reden, was dir zusteht oder nicht. Ich bin deine Frau, ja. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich mich von einem völlig betrunkenen Kerl wie dich ausziehen und betatschen lassen muss.«

»Ich kann mit dir machen, was ich will. Kapierst du das nicht. Das sagt das Gesetz und deswegen heiratet man.«

»Was das Gesetz sagt, ist mir egal. Ich gehe nicht mit einem Mann ins Bett, der nicht mehr weiß, was er tut, geschweige denn, was er sagt.«

»Du bist wohl nicht mehr bei Sinnen. Was soll das Geschwätz. Ich weiß sehr wohl, was ich tu. Zieh dich jetzt auf der Stelle aus!«

»Nein.«

»Dann mach ich das eben selbst.«

»Nein.«

Er zerrte an ihren Kleidern.

»Nimm deine Finger von mir.«

»Halt‘s Maul. Ich habe jetzt keine Lust zu reden, sondern Lust auf deinen Körper, kapierst du das!«

»Das ist nicht schwer zu verstehen, aber ich habe keine Lust auf deinen, das verstehst du offenbar nicht.«

Louis-Yves schob seine Hand in ihren Ausschnitt, griff grob nach ihren Brüsten. Er tat ihr weh. Sie wehrte sich. Vergeblich. Er schlug ihr ins Gesicht und riss ihr die Kleider vom Leib. Mit eisernem Griff hielt er ihre Arme umklammert, warf sie aufs Bett. Sie konnte der rohen Gewalt nichts entgegensetzen. Sie fühlte sich wehrlos und erniedrigt, als er mit männlicher Unerbittlichkeit in sie eindrang und seine Lust befriedigte.

Die Ehe war vollzogen, aber das Vertrauen zwischen den Eheleuten war zerstört. Sie war schockiert über die Selbstverständlichkeit, mit der er sie für sich benutzt hatte. Sie war ihm ausgeliefert und rechtlos, sie konnte nicht über sich und ihren Körper verfügen. Sie hasste ihn und fühlte sich als Gefangene einer jämmerlichen Ehe. Und es gab keine Möglichkeit der Ehe zu entkommen, eine Scheidung, eingereicht von der vergewaltigten Ehefrau, war vor dem Gesetz und Gott nicht vorgesehen. Er war im Recht, er konnte von ihr Gehorsam verlangen – auch in sexuellen Belangen.

Im Beichtstuhl versuchte Marie ihrer Ohnmachtsgefühle Herr zu werden.

Der Beichtvater hört sich in der Kirche Saint-Jean de Villenouvelle die Klagen und Vorwürfe von Marie gegen ihren Mann an, so wie in den Kathedralen und Kirchen Frankreichs und der katholischen Welt die Beichtväter, die Priester und Abbés tausendfach den Klagen der Ehefrauen lauschen. Niemand wusste besser Bescheid über die Dramen und Gewaltszenen, die Erniedrigungen, die sich in den Betten der Eheleute abspielten, wenn Männer betrunken oder von ihren Trieben gesteuert ihre sexuellen Rechte einforderten. Niemand wusste mehr über die Affären der Eheleute, die erotischen Geheimnisse der Frauen, die sie nur mit den Beichtvätern und Gott teilten, die stillen Leidenschaften, die unbefriedigten Gefühle der Ehefrauen, die stille Kälte in den Betten. Niemand kannte besser die kleinen Tricks, die die Lust in den Ehebetten zu steigern vermochten, und die Begierden der Ehefrauen, vor denen sie sich schämen, und die sie vor sich selbst zu verbergen versuchen, um dann doch Wege zu finden, sie zu befriedigen. Die Beichtväter hören die Verbitterung und Ohnmacht, die in ihren Worten mitschwingen. Die Frauen sprechen lange. Sie offenbaren ihre intimsten Gefühle, schildern Einzelheiten, wie sie von ihrem Mann zum Beischlaf gezwungen wurde, wie er ihr die Beine auseinandergerissen, ihr weh getan hat. Sie hören geduldig zu. Sie sind empfänglich für den Reiz des Intimen, der Intimitäten. Sie empfinden sie körperlich. Sie erheben ihre beichtväterliche, sanfte Stimme. Das einzige Instrument, das ihnen zur Verfügung steht, um die oft verbitterten Frauen auf den rechten Weg zu führen.

Auch die Stimme von Maries Beichtvater war mild und vibrierte leicht als er, nahe an ihrem Ohr, zu ihr spricht. Ob sie sich die gebührende Zurückhaltung auferlegt und ihn nicht doch mit ihren Reizen angestachelt habe? Ob sie nicht doch insgeheim der Fleischeslust Vorschub geleistet habe? Nein, habe sie nicht. Er sei wie ein Tier über sie hergefallen. Sie habe ein Recht, als Mensch behandelt zu werden, sagt sie. Er ermahnt sie, nicht hochmütig zu sein. Gottes Wille ist, dass die Frau des Mannes Untertan ist, ihm dient, fruchtbar ist und Kinder gebärt. Der eigene Wille der Ehefrauen zählt nicht mehr in der Ehe, sie muss ihn im Zaum halten. Es gebührt der Frau nicht, zu fordern, auch wenn es manchmal schwer fällt. Gott hat die Frau dazu erschaffen, mit Nachsicht und Rücksicht gegenüber ihrem Ehemann im Haushalt zu walten, ihm tugendhaft zu dienen, ihre Gefühle zu zügeln, Geduld zu üben und zu vergeben. Die Bestimmung der Frau, also auch deine Bestimmung ist es, ihrem Mann zu gefallen, ausschließlich ihm. Gott will es so.

 

Marie konnte und wollte den Ausführungen des Beichtvaters nicht weiter zuhören, und schon gar nicht konnte sie der von ihm geforderten Vergebung entsprechen. Wenn das die Meinung der Kirche war und sie nicht mehr zu sagen hatte, brauchte sie sie nicht. Aufgebracht schmetterte sie ihre Meinung dem Beichtvater entgegen und verließ ratlos und enttäuscht den Beichtstuhl.

Sie, noch jung, unerfahren und unsicher, war verwirrt und erschrocken. Verwirrt über das, was die Kirche sagte und erschrocken über sich selbst. Noch nie hatte sie die Beichte einfach abgebrochen und sich gegen die Kirche gestellt.

Bin ich hochmütig? Darf ich mich gegen das stellen, was seit Jahrtausenden gilt, was Millionen Menschen für wahr halten, was die mächtige Kirche als Wahrheit predigt. Ich kenne den Priester der Kirche Saint-Jean de Villenouvelle gut, er hat mich nicht nur getraut, sondern auch jahrelang die Beichte abgenommen. Er gilt gemeinhin als guter Ratgeber und verständiger Mensch – und er ist, musste sie sich eingestehen, durchaus gutaussehend, männlich, sympathisch, trotz seiner Soutane. Aber hat er deswegen recht? Ist es gerecht, dass die Frau, dass ichrechtlos gegenüber dem Mann bin, mit dem ich gegen meinen Willen verheiratet worden bin? Warum darf ich nicht über meinen eigenen Körper verfügen und muss mich von meinem eigenen Mann vergewaltigen lassen? Warum nimmt man mir meinen Willen, nur weil ich eine Frau bin? Es ist schreiendes Unrecht, zu verlangen, die eigenen Gefühle, die intimen Empfindungen zu unterdrücken, nicht sein zu können, die ich bin! Es ist schreiendes Unrecht, mir zu verbieten, zu denken und meine Gedanken laut zu äußern, nur weil ich eine Frau bin! Nein, ich bin nicht hochmütig, wenn ich mir das nehme, was mir als Mensch zusteht. Und wenn mich die Kirche wegen solcher Gedanken als anmaßend, dreist oder überheblich beschimpft, dann will ich es sein, und die Kirche kann mir gestohlen bleiben. Und die weltlichen Mächte, das Gesetz, die Institution der Ehe ebenso. Ich habe ein heiliges Recht meinen Verstand zu gebrauchen, mich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren und laut zu sagen, was mir missfällt! Ich muss den Mut haben, an mich selbst zu glauben!



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Nur drei Monate nachdem Pierre geboren worden war, und ein gutes Jahr nach der Eheschließung wurde Louis-Yves Aubry, wie schon Maries Stiefvater, Opfer einer Naturkatastrophe und Marie glückliche Witwe.

Wie so oft trat der Tarn nach heftigem Gewitter und Dauerregen auch in diesem Jahr, Mitte November, über seine Ufer und überflutete große Teile der Stadt. Aubry wurde von einer Flutwelle mitgerissen. Beherzte Bürger versuchten ihn zu retten. Es dauerte zu lange, Aubry aus dem eiskalten Wasser zu ziehen. Als sie den völlig Unterkühlten in seine Wohnung trugen und ihn ins Bett legten, schüttelte ihn heftiges Fieber. Marie ließ einen Arzt kommen, der den bereits sehr geschwächten Patienten zur Ader lassen wollte. 

»Meinen Sie, dass ein Aderlass in seinem labilen Zustand die richtige medizinische Behandlung ist?«, entrüstete sich Marie über die eingeschlagene Therapie des Arztes.

»Madame, haben sie Vertrauen in die Medizin. Es gibt keinen besseren Weg, das Fieber zu senken.« 

»Es kommt mir vor, als läge mein Mann auf einer Schlachtbank.«

»Madame, sie wollen mich, der ich an der renommierten Fakultät von Toulouse Medizin studiert habe, doch wohl nicht mit einem Metzer vergleichen!«

»Nun Monsieur, was sie machen, erinnert mich doch sehr an die blutigen Tätigkeiten meines Bruders.«

»Madame, dieses Bild eines Mediziners muss ich mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Ich verstehe, dass Blut Sie erschreckt und nichts für das zarte Gemüt einer Frau ist. Aber seien Sie nicht ungerecht, nur weil Sie eine Frau sind und sich von ihren Gefühlen leiten lassen.«

»Monsieur Boucher, mich erschreckt Blut nicht. Ich habe erst vor ein paar Monaten ein Kind geboren und viel Blut gesehen und verloren. Unterliegen Sie also nicht dem allgemeinen Irrglauben, dass Frauen weniger aushalten könnten als Männer. Das Gegenteil ist der Fall. Außerdem denke ich durchaus rational und bin überzeugt, dass, wenn ein Mensch schon sehr geschwächt ist, ein zusätzlicher Blutverlust kein vernünftiges Mittel ist, das der Genesung dieses Menschen förderlich ist.« 

»Wenn Sie an meiner ärztlichen Kunst zweifeln, Madame, bitte ich Sie, sich einen anderen Arzt zu suchen!«

»Seien Sie doch nicht so empfindlich, Monsieur, auch die ärztliche Kunst muss sich der Kritik stellen, wie so vieles andere auch heutzutage. Die Vernunft, der sich auch die ärztliche Kunst nicht verschließen kann, ist dabei, das Regiment zu übernehmen. Sie wird viele nicht mehr zeitgemäße Dogmen untergraben und schließlich zerstören, so wie der Tarn die Dämme von Montauban aufgeweicht und niedergerissen hat.«

Boucher starrte Marie ungläubig an, völlig überrascht aus dem Mund dieser attraktiven Frau solche Worte zu hören.

»Madame Aubry, ich bitte Sie, bleiben Sie ihrem Geschlecht treu. Zieren Sie sich mit Bescheidenheit, die steht Frauen gut zu Gesicht, und reden Sie nicht von Dingen, die die Anmut ihres Geschlechts zerstören.«

»Monsieur Boucher, Anmut gepaart mit Klugheit und Vernunft widersprechen sich nicht, sondern vereinen sich in der Frau zur Krönung des Menschengeschlechts.«

»Die Frau ist von Gott geschaffen, um dem Mann zu dienen und Kinder zu kriegen. Sie gehört in den Haushalt und nicht in die Salons.«

»Sie wollen doch wohl den Frauen nicht Intellekt und Diskussionsfähigkeit absprechen! In einem Punkt stimme ich Ihnen allerdings zu, das weibliche Geschlecht garantiert, neben den vielen ihm aufgebürdeten anderen Aufgaben, ganz nebenbei auch noch den Fortbestand der Menschheit. Die Frauen sind verantwortlich für das körperliche und geistige Wohl der Kinder, warum sollten sie dann nicht auch über die Zukunft der Menschen mitreden dürfen!« 

»Madame, Sie verkennen die Natur des weiblichen Geschlechts und bringen mit solchen Gedanken die Ordnung, ja, ich würde sogar sagen, das Weltgesetz durcheinander.«

»Monsieur, Sie brauchen mir nichts über die Natur der Frau erzählen. Ich kenne sie. Und was die Ordnung betrifft, die sie in Unordnung wähnen, es ist ihre Ordnung und nicht meine.«

»Unsere, Madame! Es ist unsere gemeinsame Ordnung, die Sie sprengen wollen« sagte er aufgebracht und griff hastig nach seinem Arztkoffer und Hut, »darf ich mich nun verabschieden.«

»Leben Sie wohl, Monsieur Boucher.«

Wenige Tage später erlag Louis-Yves Aubry seinem Fieber. 

Marie hatte nicht geahnt, dass der, den sie so verachtete und über dessen Tod sie keine Träne vergoss, ein so erfolgreicher Geschäftsmann war. Er hinterließ ihr ein überraschend großes Vermögen. Mit dem Erbe konnte die Restfamilie erst einmal gut leben und musste sich keine finanziellen Sorgen machen. 

Marie saß mit ihrem Sohn in ihrem Zimmer und schaute in den grauen, regenverhangenen Himmel über der Rue Fourchue. »Gott hatte meine Gebete erhört. Jeden trifft das Schicksal, das er verdient«, dachte sie. Sie streichelte liebevoll ihrem Kind über das kleine Köpfchen. »Wir werden es uns schön machen und ich werde immer für dich da sein, mein süßer kleiner Pierrot. Was auch immer geschehen mag, ich werde für dich sorgen und dir die Wege ebnen, die zu ebnen sind, wenn du erst einmal groß bist.«

Sie brach mit ihrer Vergangenheit und versuchte auszulöschen, was sie belastete. Sie schuf ihr Leben neu, radikal und mit großer Energie. 

Eine der ersten Handlungen nach dem Tod ihres Mannes war, sich von ihrem Namen zu trennen und zu versuchen, die qualvolle Erinnerung an Aubry auszuradieren. In Gedenken an ihre ihrer adelige Patin, Anne-Olympe de Pomarède gab sie sich den Vornamen Olympe. Sie wandelte den Familiennamen ihrer Mutter in Gouges um, und stellte, den Gepflogenheiten manch ehrgeiziger Bürger folgend, dem Familiennamen ein vornehmes de voran. Aus Marie Aubry wurde Olympe de Gouges.

 






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